Kolumne



April 2018

Stille und Angst

 

Was wäre,
wenn ich sähe was wirklich ist?
Was wäre,
wenn ich bin, die ich bin?
Wäre ich nicht verzaubert von dieser Welt,
weil etwas Tieferes mein Leben erhellt?

(Christine Hansen)

 

Es ist April, der Monat des „Lichtfestes“ (Ostern). Ich bemerke wie mich zwei Themen beschäftigen.

Das Eine – Stille. Das Andere -  Angst. Was haben diese beiden Themen miteinander zu tun?
 
Anfang des Jahres habe ich mich zu einem Workshop „der eigenen Stimme Ausdruck geben“ anmeldet.
Am Abend wird das Seminar eingeleitet mit einer Wunschäußerung. Wo will ich am Ende des Jahres ankommen? Das weiß ich genau! Ich äußere also meinen Wunsch (sorry! Da werde ich mal kurz privat), gehe zur Mitte des Raumes in dem Postkarten ausgelegt worden sind und ziehe eine Karte. Die Karte zeigt folgendes: zwei Liegestühle an einem Strand – blauer Himmel und ein Spruch: „Das größte Geheimnis des Glücks ist, gut zu sich selbst zu sein“.
Gut zu sich selbst zu sein bedeutet hier nicht Shoppingtour, Kaffee trinken oder Schokolade essen (was natürlich völlig legitim ist – genieße! Ich erinnere an Hygge“). Nein! Hier geht es eher um das eigene innere Klima. Ein inneres Klima, das einfach gut tut und nicht durch gedankliche „Negativprogramme“ vergiftet wird! Diese Vergiftung hat den Namen „dukha“  und wird als Verdunklung des Verstandes wahrgenommen. Wir sehen mit einer pessimistischen Brille auf die Welt. Negativprogramme äußern sich als Sorgengedanken, sich selbst klein machen, Zwang zur Selbstoptimierung (man ist ja nie gut genug – kennst Du das????), Erlaubnisverweigerung zum Chillen (ich habe ja noch sooo viel zu tun… puhhh) -  kann ich das…?…. und, und, und  ….. .
Gut zu sich zu sein bedeutet, diese Negativprogramme aufzuspüren und zu lernen, sich von Ihnen zu lösen. Wie mache ich das?

Eine Erfahrung in diese Richtung brachte mir das Singen. Es pustete alles Negative einfach weg! Der gemeinsam geschaffene Klangteppich hat das Innere verändert – aus der Zerstreuung in die Sammlung und in ein Einheitserleben. Ich war leer von meinen persönlichen Themen!!!! – ganz eins mit mir und dem Klang. Meine Aufmerksamkeit war gebündelt an diesen Teppich aus Klang und sie blieb es auch. Es legte sich eine tiefe Stille in den Raum. Diese umhüllte mich. Keine Angst - stille Vibration, pure Magie und sie ist mir bekannt - ich kenne sie vom Yoga.

Wenn der Yoga gelingt, verbindet er mit der Qualität einer solch lebendigen Stille. Ein besonderer Lebenspuls, der vom Puls des Alltags abweicht. Diese Erfahrung setzt ein (r)einlassen voraus. Das wird im Yoga geschult. Wie?

•    das Bemühen – Tun - die eigene Absicht umsetzen wollen (tapas)
•    die Erfahrung und ihre Wirkung auf das eigene System reflektieren (svashyaya) - nahe an sich selbst herantreten
•    Unvorhersehbarem gegenüber offen sein, sprich: erleben ohne Erwartung.

Die Rede ist vom Kriya Yoga (Sutra 2.). Üben in diesem Verständnis senkt eine Urkraft in uns – Angst.
In meiner Arbeit als Yogalehrerin und in meinem Wirkkreis komme ich häufig mit dem Gedanken in Kontakt, dass auf Stille einlassen oder Stille reinlassen schwierig ist. Sie wird gleichgesetzt mit Leere oder leer sein und, dies ist in der Vorstellung vieler gleichzusetzen mit tot sein. Stimmt das wirklich? „Wovon bin ich leer?“

Die Leere die hier gemeint ist, ist ein gelöst sein von dem, was persönlich verdunkelt und das ist sehr erholsam! – Pause von dem Teil in uns, der verstrickt ist in beschwerenden Themen und dem einhergehenden „Gedankenkarussel“. Yogapraktizierende empfinden die Leere oder Stille von den eigenen Themen als zutiefst nährend. Erinnere bitte die Momente, in denen Du ganz bei Dir warst, z. B. am Strand, im Urlaub, in den Bergen, im Sonnenuntergang etc. Auch Dein Tiefschlaf ist ein solches „leer sein“. In ihm bist du nicht in Verbindung mit Deinen persönlichen Dramen. Und wie genährt erwachst Du am Morgen nach einem wirklichen Tiefschlaf in dem ein leer werden stattfand?

Stille und die damit verbundene Leerheit unserer persönlichen Themen sollte neu bewertet werden, damit wir ihr angstfrei und leicht begegnen können.

In einem Buch lese ich, dass jeder Mensch die Aufgabe hat, dieser Leere und der damit verbundenen Angst ins Auge zu schauen. Warum Angst? Vielleicht weil leer sein oder werden an die eigene Vergänglichkeit erinnert? Sind wir deshalb ständig beschäftigt, um diesem still werden auszuweichen? Ist unsere „Beschäftigungssucht“ eine Ablenkung vor der Vergänglichkeit unserer persönlichen Dramen? Machen diese Dramen nicht meine Persönlichkeit aus? Wer bin ich, wenn ich mich mal nicht mit diesen meinen Dramen und Erfahrungen identifiziere? Diese Angst vor der Vergänglichkeit hat im Yoga einen Namen „abhinivesa“ und sie gilt als Stör-Kraft (klesha), die dem Menschen als Erbangst zu Eigen ist. Wir sind damit geboren. Diese vermeintliche Störung entsteht aus avidyã (klesha), der Kraft einer Selbsttäuschung.
Es steht die Idee im Raum, dass wir immer aus einer Täuschung an die Welt herantreten. In jede Wahrnehmung nehmen wir uns mit, mit unserer Gier (raga), unseren unbegründeten Abneigungen (dvesa), unseren Ängsten (abhinivesha) und Sorgen. Wir glauben, die Objekte der Welt sind zur Erfüllung der eigenen Erwartungen geschaffen. Die Texte verweisen darauf, dass diese Täuschung die Grundlage unseres dukha (Stress, Angst) ist. Erfüllen sich unsere Erwartungen nicht, erleben wir innere Konflikte. Was wird aus mir, wenn...?

„Der Zweck des Vorhandenseins von Objekten erfüllt sich allein dadurch, dass sie durch uns wahrgenommen werden.“ (Yogasutra 2.21) – doch wir machen sie zu etwas sehr Persönlichem!
Wir täuschen uns selbst, wenn wir glauben, die Objekte der Welt wären dazu da, unser Glücksgefühl zu steigern, unsere Wertigkeit an ihnen zu bemessen. Wie schnell gerät unsere Welt ins Wanken, wenn sich die äußeren Bedingtheiten ändern oder das erhoffte Glück sich nicht einstellt! Was können wir tun?

Lerne Teilhabende(r) an der Welt zu werden. Teil haben an dem, was sich in jedem Augenblick zeigt. Sich wieder davon lösen. Sich an allem erfreuen – von Augenblick zu Augenblick, jedoch nicht anbinden, nicht festhalten und das äußere Feld nicht gleichsetzen mit dem Inneren. Das, was wahrgenommen wird, nicht zu etwas Persönlichem machen. Wenn diese Fähigkeit wächst und sich der Augenblick beginnt auszudehnen kann es geschehen, dass wir mit dem essenziellen Lebenspuls in Kontakt kommen.

Kriya Yoga schult im Laufe der Zeit eine Achtsamkeit darüber, womit wir uns innerlich verbinden. Bleiben wir Teilhabende an jedem Lebensausdruck (auch Gedanken und Gefühle!) entsteht die Chance, auf die Welt neu zu reagieren. Die gewonnen Einsichten in die eigenen Strukturen schenken Erfahrungsvertrauen und dadurch das so Not wendende Vertrauen (sraddha) in etwas Tieferes in uns - den ureigenen Lebenspuls. Vertrauen ist der Gegenspieler zur Angst. 

Yogapraxis möchte die Täuschung bewusst machen, Glück käme von Außen. Wirkliches Glück ist ein Erleben, dem Stille und Balance zu Grunde liegt. In ihr ist man ganz im Augenblick! Ganz und gar Teilhabende(r) des Lebenspulses. Dieser Lebenspuls hat viele Gesichter. Als Teilhabende sind wir weniger verstrickt (samyoga). Als Betrachter sind wir nah bei uns und schauen lassend. Das ist Meditation. Dies bedingt Stille und Wachheit in mentaler Balance.

Wir dürfen also verstehen lernen, dass Stille das Tor zum Vertrauen auf etwas in uns ist. Dies könnten wir am Leben durch die Objekte erfahren.

Was wäre, wenn ich als Teilhabende(r) ganz im Moment (atha I.1), ganz am Wirklichen wäre? Wäre ich nicht verzaubert von dieser Welt, weil etwas Tieferes mein Leben erhellt?